„Stromausfall und Schweinegrippe“

Gut besucht war das „Dritte Wirtschaftspolitische Sommergespräch“, zu dem die AGS (Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in der SPD) des SPD Bezirks Hessen-Süd am 8.Juli in den Frankfurter Presseclub eingeladen hatte. Thema: Mit welchen betriebswirtschaftlichen Folgen müssen Unternehmer eigentlich rechnen, wenn es in Zukunft gehäuft zu Unfällen und Ausfällen wie z.B. dem mehrtägigen Stromausfall im Münsterland kommt? Welche Vorsorgemaßnahmen kann man selbst treffen und wie muss man sie in die eigene Bilanz einrechnen? An welchen Stellen geht es nur mit staatlichen Regelungen und Eingriffen? Und wann kommt im Grunde jede Hilfe zu spät und Verluste sind unausweichlich? Als Hauptreferent konnte die AGS einen ausgewiesenen Experten gewinnen: Gerold Reichenbach, Hauptinitiator des „Grünbuch Öffentliche Sicherheit“ und direkt gewähltes SPD-Bundestagsmitglied im südhessischen Kreis Groß-Gerau. Reichenbach, der außerdem langjähriges Mitglied des Technischen Hilfswerks (THW) ist und dem internationalen Beraterstab der UNDAC angehört, provozierte seine Zuhörer mit Fragen, um mehr Problembewusstsein zu schaffen: „Haben Sie sich eigentlich schon mal überlegt, was es für Sie und Ihr Unternehmen bedeutet, wenn wirklich mehrere Tage der Strom wegbleibt?“

So stellte die Inhaberin eines Goldschmiedbetriebs verblüfft fest, dass sie bei einem längeren Stromausfall ihr Geschäft nicht einmal mehr betreten kann, weil die Schließ- und Alarmanlage nur elektrisch funktioniert. Reichenbach verwies darauf, dass man im Notfall nicht einmal mehr telefonieren könne, weil auch Telefonanlagen und Handy-Sendemasten Strom benötigen.

Andere Anwesende begannen zu rätseln, welche Personalausfälle eine ernsthafte Pandemie wohl nach sich zieht und ob man dann die Produktion noch aufrechterhalten könne. Diese Frage konnte Reichenbach schnell beantworten: Experten gehen von mindestens dreißig Prozent Personalausfall aus – allerdings nicht unbedingt, weil so viele erkranken, sondern ein Teil der Ausfälle sei aus psychologischen Motiven. Die Menschen bekämen schlicht Angst vor Ansteckung und wollten nicht mehr aus dem Haus gehen. Eine Einschätzung, die von einem der Zuhörer, einen selbstständigen Berater aus dem Main-Taunus-Kreis bestätigt wurde. Bei seiner schulpflichtigen Tochter sei vor wenigen Wochen nach einem USA-Besuch die Schweinegrippe festgestellt worden und obwohl sich niemand im Umfeld angesteckt habe, die Krankheit harmlos verlaufen und das Mädchen inzwischen völlig genesen sei, hätte es regelrechte Hassbriefe aus dem näheren Umfeld gegeben. Diese heftigen Reaktionen hätten die Familie sehr erschüttert. Ein ebenfalls anwesender Psychologe äußerte, dass im Ernstfall mit noch schlimmeren Panikreaktionen gerechnet werden müsste, die die Auswirkungen von Katastrophen zusätzlich verschärfen.

Reichenbach erläuterte, dass in der breiten Öffentlichkeit die Gefahren durch Terrorismus eher über- und andere Auslöser eher unterschätzt würden: „Tschernobyl hat gezeigt, dass es keinen terroristischen Anschlag braucht, um eine zivile Katastrophe auszulösen. Auch in Krümel fallen die Transformatoren schon zum zweiten Mal aus, ohne das dafür ein Anschlag nötig gewesen wäre.“

Eine Gesellschaft, die derartig stark vernetzt ist wie unsere, müsse sich generell besser auf zivile Katastrophenszenarien einrichten. So funktioniert heutzutage keine Logistikkette mehr ohne Strom. Reichenbach: „Wenn der Computer ausfällt, kann z.B. ein Lagerverwalter nicht mehr nachvollziehen, welches Medikament in welcher Halle und in welchem Regal gelagert ist.“ Auch der Klimawandel und die dadurch bedingten extremen Wetterereignisse gehört zu den potentiellen Verursachern von Großkatastrophen. Reichenbach, der beide Male der Einsatzleitung angehörte, erinnerte hier beispielsweise an die beiden deutschen Hochwasser an Elbe und Oder. Manfred Schmidt, Inhaber mehrerer mittelständischer Unternehmen und Vorsitzender der AGS Hessen Süd, warf die kritische Frage in den Raum, wie man vorbeugen könne und ob das dann zusätzliche Bürokratie für die Betriebe bedeuten würde? Dem widersprach die selbstständige Marketingfachfrau Anja Baier. Sie war der Auffassung, dass durch offizielle Regeln und Gesetze sogar eine Art Wettbewerbsgleichheit hergestellt werden könne – derzeit müssten seriöse Unternehmen mit besonderen Sicherheitsvorkehrungen ihre entsprechend höheren Preise mühsam am Markt durchsetzen. Kunden, die immer nur nach dem geringsten Aufwand und dem niedrigsten Angebot schielten, bemerkten oft erst dass sie am falschen Ende gespart hätten, wenn es bereits zu spät sei. Reichenbach verwies in diesem Zusammenhang auf die Einführung der Gurtpflicht, die in der Automobilindustrie langfristig sogar zu einem regelrechten Sicherheits-Boom geführt hat.
Gesamtfazit der Gesprächsrunde: nach knapp dreistündiger Diskussion sind alle Anwesenden nachdenklich geworden und wollen in ihren Unternehmen genauer hinsehen, wo eigeninitiativ „Puffer“ geschaffen werden können. Darüber hinaus wurde die AGS ausdrücklich aufgefordert, diese Art von Veranstaltung bald zu wiederholen.