
Der Versuch, Menschen über ihre Gene zu definieren, führt in die Irre. Intellektuell, moralisch und politisch. Soviel vorab zu dem Buch von Thilo Sarrazin, bei dem es nur scheinbar um Integration geht. Wer genau hinsieht, merkt, dass es weder um eine Darstellung praktischer Probleme der Integration noch um pragmatische, realitätstaugliche Integrationspolitik geht. Vielmehr handelt es sich bei seinen Thesen um fundamentale Fragen unseres Menschen- und Gesellschaftsbildes. Es handelt sich vor allem um eine heillose Verwechslung von Religion, Kultur, Rasse und sozialem Status. Damit sind Grenzen überschritten, die nicht überschritten werden dürfen.
Thilo Sarrazin hat soziale Fragen an die ethnische Herkunft bzw. an Rassenzugehörigkeit gebunden. Rasse ist jedoch nichts anderes, als eine von Rassisten geschaffene Kategorie. Jeder Versuch, ernsthaft und intellektuell redlich über Rasseneigenschaften zu reden, oder einzelnen Völkern oder Volksgruppen genetisch bedingte Eigenschaften zuzuordnen, ist zum Scheitern verurteilt. Besonders dann, wenn dadurch – wie im Falle von Thilo Sarrazin – versucht wird, aus diesen angeblich genetisch bedingten Eigenschaften Urteile über deren Höher- oder Geringerwertigkeit abzuleiten. Schon die Nationalsozialisten sind mit diesem Versuch kläglich gescheitert.
Trotzdem hat sich scheinbar bis heute noch nicht in allen Köpfen durchgesetzt, dass Juden, Muslime oder Türken einfach nur Menschen sind – wie alle anderen auch. Sarrazins Weg führt schnurgerade zur Eugenik, also zu der Auffassung, dass bestimmtes Leben fortpflanzungswert ist und anderes eben nicht. Und wer sich auf diesen Weg begibt, der wird nicht stehen bleiben bei muslimischen Türken. Wer glaubt, er sei nicht gemeint, der könnte sich bitter täuschen.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen: Wer so argumentiert (und das auch noch in diesem hochmütig‐verächtlich‐elitären Ton), wer so konsequent gegen die Achtung der Würde aller Menschen verstößt, der kann für uns kein Gesprächspartner mehr sein. Ton und Inhalt seiner Äußerungen zeigen, dass es ihm um die Aufgabe der Integration gar nicht geht.
Seit fast 150 Jahren steht ein hoffnungsvolles Aufstiegsversprechen im Zentrum der Politik der SPD. Unabhängig von sozialer und kultureller Herkunft, finanziellen Verhältnissen oder Geschlecht und Genen sind die persönlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse überwindbar – durch Emanzipation, Bildung, unsere Sozialpolitik, Fleiß, Kreativität und vieles mehr.
Über Probleme in der Integration reden wir regelmäßig auf allen Ebenen, in den Kommunen und im Landtag. Wir sprechen Probleme offen an. Die Landtagsfraktion hat im August, noch vor Sarrazin, ein umfangreiches Konzept Integration in Hessen vorgelegt. Leider wurde es – mangels skandalträchtiger Grenzüberschreitungen und Tabubrüche – in den Medien wenig beachtet.
Es geht nicht darum, dass da einer angeblich nicht sagen dürfen soll, was er denkt. Thilo Sarrazin konnte seine Meinung über alle Fernseh- und Hörfunkkanäle, über BILD und SPIEGEL und viele andere ungehindert verbreiten. Es geht hier nicht um Meinungsfreiheit. Es geht um eine konkrete Meinung, die zu bekämpfen ist, weil hier Tabus gebrochen werden, die nicht gebrochen werden dürfen.
Dieser Artikel ist im aktuellen Sozialdemokrat erschienen.