Weiter so reicht nicht. Warum der SPD ein klares NEIN besser täte als ein halbherziges JA.
VON KAWEH MANSOORI
(Vorsitzender der Jusos Hessen-Süd)
Seit Angela Merkel und ihre inhaltlich völlig entkernte Union die Jamaika Sondierungen gegen die Wand gefahren haben, hat sich die SPD-Führung vom „auf keinen Fall“ über eine „nicht unter vorstellbaren Voraussetzungen“, mit vielen Stationen aus der Rubrik „möglicherweise“ zu einem „there is no alternative“ durchgearbeitet. Dieser quälende Prozess ist symptomatisch für das Kernproblem der SPD. Mit ihrem Zickzack-Chaoskurs verprellt sie seit Jahren mehr Menschen, als sie durch halbherziges Drehen an sozialpolitischen Stellschrauben zurückgewinnt. Es ist allerhöchste Zeit umzukehren und einem Weiter so eine Absage zu erteilen.
Das Verhandlungsergebnis ist respektabel, aber am Ende nicht genug.
Der Druck der Groko-Gegner hat zweifellos Bewegung in die Koalitionsverhandlungen gebracht. Unsere Kritik, innerparteilich und öffentlich, hat der Union Zugeständnisse abverlangt. Das Ergebnis zeigt jetzt sicher das Maximum dessen, was an sozialem Fortschritt mit der Union machbar ist. Die gerechtere Verteilung des Reichtums im Land gehört nicht dazu. Obwohl einige wenige immer reicher werden, während anderen immer weniger zum Leben bleibt, wird die große Koalition nichts an der ungleichen Vermögensverteilung im Land ändern. Im Gegenteil wird sie das Thema Umverteilung sogar vier Jahre aus der öffentlichen Debatte verdrängen. Den Preis dafür zahlt die arbeitende Mitte, deren Belastungen sich an der Grenze der Zumutbarkeit bewegen, die Kommunen, die quasi pleite sind, die Allgemeinheit, die in einem reichen Land wie unserem damit klarkommen muss, dass Geld für Gemeinwesen und nötige Investitionen fehlt. Ebenso wenig wird der Ausstieg aus der Zwei-Klassen-Medizin eingeleitet. Eine Kommission zur Neufestsetzung der Honorarordnung ist nämlich erheblich weniger als eine gemeinsame Vergütung von Gesundheitsleistungen für gesetzliche und private Krankenkassen und damit alles andere als ein Einstieg in die Bürgerversicherung. In der Zuwanderungspolitik hat sie eine feste Obergrenze verhindert und sich dennoch der Forderungen nach einer massiven Begrenzung des Flüchtlingszuzugs gebeugt. Diejenigen, die in der SPD die letzte Kraft für Humanität und Menschlichkeit sahen, sind zurecht enttäuscht. Und trotz aller Fortschritte für Ordnung am Arbeitsmarkt, bleibt das grundlos befristete Arbeitsverhältnis weiterhin erlaubt. Für Betroffene, junge Leute beim Berufseinstieg oder in der Familiengründungsphase wird die Lage sogar noch prekärer: Ihre Arbeitsverträge werden künftig auf nur noch 1,5 Jahre statt auf 2 Jahre befristet. Gemessen an den Vorgaben des Bonner Parteitags sind die Voraussetzungen für eine große Koalition nicht erfüllt.
Die SPD ist nicht der Betriebsrat der Republik. Sie muss führen.
Natürlich setzt die SPD in Regierungsbeteiligung mehr Politik durch als ohne Regierungsbeteiligung. Das Argument, dass die SPD sich daran orientieren müsse, in welcher Konstellation sie mehr Gesetze durchbringen kann, ist ein wenig technokratisch und zeugt von Unkenntnis über das Parteiensystem und die Rolle der SPD darin. Die wechselseitige Kontrolle von SPD und CDU in Regierung und Opposition hat unserer parlamentarischen Demokratie über Jahrzehnte hinweg Stabilität gegeben. Beide Parteien stehen im Grunde für völlig unterschiedliche Gesellschaftsentwürfe. Die Grundwerte der SPD sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, die jeweils gleichrangig sind. Die SPD steht für die Teilhabe der Vielen. Sie eicht ihren Kompass mit der Erkenntnis, dass das Kollektiv wichtiger ist als das Individualinteresse. Die CDU sammelte 1999 Unterschriften gegen Ausländer. Sie hat eine Vorsitzende, die 2012 noch eine marktkonforme Demokratie forderte. Sie ist eine Partei, die für eine konservative Gesellschafts- und Familienpolitik steht, die prekäre Beschäftigung heute noch für Ausdruck unternehmerischer Freiheit hält und Massenarbeitslosigkeit eine steuernde Funktion beimisst. Auf Basis der Verfassung stehen beide Parteien für völlig unterschiedliche Wege. Aufgabe der Wählerinnen und Wähler ist es, zu entscheiden, welchen Weg die Republik nimmt. Wir brauchen den Wettbewerb zwischen diesen beiden Parteien, damit echte Alternativen innerhalb des demokratischen Spektrums bestehen. Die SPD muss als Volkspartei grundsätzlich führen: Entweder die Regierung oder die Opposition. Wer sich dauerhaft darauf beschränkt, die Politik anderer ein bisschen sozialer zu gestalten, gibt diesen Führungsanspruch auf.
Die SPD muss sich neu aufstellen. Sie kann nicht gleichzeitig dem „Weiter so“ zur Mehrheit verhelfen und sich davon abgrenzen.
Inhaltliche Profilierung und Regierungsbeteiligung schließen sich nicht aus, bedürfen aber bestimmter Voraussetzungen, die hier nicht gegeben sind. Denn anders als vor der letzten großen Koalition steht die SPD ohne einen erkennbaren Leuchtturm da. Sie muss sich einerseits für wichtige Zukunftsinvestitionen und eine funktionierende kommunale Daseinsvorsorge einsetzen. Sie muss Bildung und Qualifizierung ausbauen um Millionen von Menschen beim Umbau der Arbeitsgesellschaft zu begleiten, darf sich dabei aber nicht dem Ausbau der Verteilungsgerechtigkeit bedienen. Ein Staatshaushalt ist keine eierlegende Wollmilchsau. Es kann nur soviel investiert werden wie zuvor auch eingenommen worden ist. Angesichts der dramatisch steigenden Finanzbedarfe für das Gemeinwesen ist eine Umverteilung des Reichtums nötiger denn je um Wachstum, Wohlstand und Stabilität zu wahren. Trotz dieser Erkenntnis ist die SPD dazu verdammt 3 Jahre auszusitzen. Kaum auszumalen, was ein Konjunktureinbruch oder ein Anstieg der Leitzinsen für den Haushalt vor dem Hintergrund der Schuldenbremse bedeutete. Die SPD wäre der Union hoffnungslos ausgeliefert.
Es gibt keinen Automatismus für Neuwahlen und keinen Anlass für Angst davor.
Was an Zustimmungsgründen bleibt, ist die Angst vor Neuwahlen. Weder sind Neuwahlen wahrscheinlich, noch muss die SPD sie fürchten. Die Union geht längst offen damit um, dass sie im Falle des Scheiterns einer großen Koalition eine Minderheitsregierung anstreben würde. Und selbst wenn nicht, könnte sie Neuwahlen nicht erzwingen. Nach dem Grundgesetz entscheidet allein der Bundespräsident, ob er nach einem dritten Kanzlerwahlgang voraussichtlich Angela Merkel zur Kanzlerin ernennt oder den Weg für Neuwahlen freimacht. Und selbst, wenn es zu Neuwahlen kommt, muss die SPD nicht die Flinte ins Korn werfen. Gerade der Beginn des Jahres 2017 zeigt, dass sich die Menschen nach einer SPD sehnen, die kantig und mutig ist und etwas anderes anbietet als Merkel in ihrer Endzeit. Die SPD braucht ein glaubwürdiges Gesicht und muss deutlich machen, was sie in der Sache will und anders will. Dann ist sie mehrheitsfähig. Nicht Umfragen im Winterloch sind entscheidend sondern echte Stimmen an einem Wahlsonntag. Eine große Koalition muss im Vergleich dazu wie der bequeme Weg wirken. Die SPD sollte aber nicht den bequemen Weg gehen sondern den mutigen.