NEUE ZEITEN DENKEN

In den vergangenen Monaten wurde etliches zur Erneuerung der SPD gesagt, geschrieben und angekündigt. Unterdessen hat der Bezirk Hessen-Süd am 26. Mai sein Versprechen, die programmatische Erneuerung über offene und interaktive Veranstaltungsformate voranzubringen, mit dem Zukunftskongress „Neue Zeiten Denken“ einmal mehr eingelöst. Der Kongress widmete sich drei entscheidenden Zukunftsthemen: Gesundheit, Umverteilung und Digitalisierung. Zu jedem der drei Themenblöcke wurden Referent*innen aus Wirtschaft, Politik und Publizistik eingeladen. Im Anschluss an deren Impulsreferate waren die Teilnehmenden gefragt, ihre Gedanken zu notieren und in die kontrovers geführte Diskussion einzubringen. Die Vorträge und Gespräche waren nicht immer schmeichelhaft für die Partei. Jedoch ging es nicht um eine Bestätigung des politischen Kurses, sondern um einen kritischen Dialog und Impulse für die Zukunft. Mit dem Zukunftskongress hat die SPD Hessen-Süd jedenfalls deutlich gemacht, dass das Thema Erneuerung hier ernst genommen wird.

 

Themenblock Gesundheit

Zum diesem Thema sprachen der Mediziner und Publizist Dr. Bernd Hontschik sowie die Bundestagsabgeordnete Bettina Müller. Die Diskussion wurde von Wilfried Weyl, Beisitzer in der ASG Hessen-Süd, geleitet.

Unter dem Titel „Hippokrates for Sale“ beschrieb das Referat von Dr. Hontschik den Wandel des sozialen Gesundheitswesens zu einer patientenfeindlichen Gesundheitswirtschaft. Er stellte klar, dass die viel zitierte „Kostenexplosion“ im Gesundheitssystem nicht von einer Steigerung der Patient*innenzahl, sondern von der willkürlichen Preissetzung der Pharmaindustrie herrühre. Die in diesem Zusammenhang oft genannte „Überalterung“ sei ebenso ein Phantasma, um höhere Medikamentenpreise und Einschnitte im Gesundheitssystem zu rechtfertigen. Die Menschen werden in der Tat älter, bleiben im Alter aber auch oft gesünder. Zudem kritisierte er deutlich die zunehmende Ökonomisierung von Krankenhäusern, ein realitätsfernes Bezahlsystem und ein willkürliches Qualitätsmanagement. Diese haben zur Folge, dass „die Humanmedizin nicht mehr ihren eigenen Spielregeln, sondern allein wirtschaftlichen Gesichtspunkten folgt.“

Bettina Müller hielt dem entgegen, dass es durchaus eine „Kostenexplosion“ durch zu viele zu kleine Krankenhäuser gebe. Mit der Pflege benannte sie ein weiteres Feld, in dem Privatisierung und Ökonomisierung problematisch werden. Sie fügte hinzu, dass die SPD-Bundestagsfraktion die mangelhafte ärztliche Versorgung in ländlichen und strukturschwachen Räumen als Problem erkannt habe. Sie ging auch mit Hessens Kassenärztlicher Vereinigung ins Gericht, die Patient*innen mit dem Gerede von einer „Flatrate-Mentalität“ diskreditiere und sich nicht um eine Verbesserung der Versorgungslage bemühe.

 

Themenblock Umverteilung

Hier kamen der Ver.di-Chefökonom Dr. Dierk Hirschel und der Landtagsabgeordnete Gernot Grumbach zu Wort. Die Landtagsabgeordnete Ulrike Alex war Moderatorin der anschließenden Diskussion.

Dr. Hirschel sprach umfassend zu den Versäumnissen sozialdemokratischer Politik seit der Agenda 2010. Er forderte, dass die „Analyse des Macht- und Ungleichheitsmechanismus des neoliberalen Kapitalismus“ wieder ins Zentrum des politischen Diskurses rücken müsse. Darauf aufbauend müssen unbequeme Wahrheiten wieder ausgesprochen werden. Die SPD brauche eine klare Sprache, um die zunehmende Ungleichheit zu benennen und eine gerechte Umverteilungspolitik umzusetzen.

Gernot Grumbach schloss sich der Forderung an, Missstände deutlicher zu benennen. Er sei der Auffassung, dass der sprachliche und kulturelle Wandel einen direkten Einfluss auf den politischen Diskurs habe. Zudem unterstrich er, dass eine Reform des Bodenrechts ebenso ein Instrument zur gerechteren Umverteilung von Vermögen sein könne.

 

Themenblock Digitalisierung

Diesem Thema widmeten sich der Direktor des Bereichs Digitale Transformation bei PricewaterhouseCoopers, Michael Pachmajer, und der SPD-Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel. Die Diskussion wurde von Andrea Gerlach, der stellvertretenden Vorsitzenden des Unterbezirks Offenbach, geleitet.

Michael Pachmajer umriss die gesellschaftlichen Veränderungen, zu denen es durch die Digitalisierung kommt. Die technologische Veränderungsrate übertreffe bereits jetzt schon die menschliche Anpassungsfähigkeit. Dieser Divergenz könne man dadurch begegnen, dass Organisationen agiler und netzwerkartiger werden. Außerdem müsse „das Coden“, als Synonym für einen souveränen Umgang mit Technologie, neben dem Lesen, Schreiben und Rechnen zu einer Grundkompetenz im Bildungsbereich erhoben werden.

Mit dem Begriff der „sozialdigitalen Revolution“ machte Thorsten Schäfer-Gümbel deutlich, dass Digitalisierung vor allem eine dramatische gesellschaftliche Veränderung mit sich bringt. Er verlange eine „brutale Modernisierungsdebatte“, die jedoch nicht „auf die Knochen der Menschen“ geht, damit Politik und Wirtschaft in Deutschland noch den Anschluss an die digitale Wirklichkeit in der Welt schaffen können. Durch die Selbstzufriedenheit und Rückwärtsgewandtheit in der Politik werden die Chancen der Digitalisierung verschwiegen und stattdessen die Probleme überbetont. Ihre Geschichte habe gezeigt, dass die SPD industriellen und gesellschaftlichen Veränderung nicht hinterherläuft, sondern diese effizient gestaltet.

 

Die Diskussion zu den Themen des Zukunftskongresses geht online im „Roten Netz“ des Bezirks Hessen-Süd weiter. Wer sich dazu eingeladen werden möchte, kann sich an Jens Best (jens.best@nullhessendigital.de) wenden.