Der Arbeitskreis Landwirtschaft und ländlicher Raum hatte für den 29.11.2019 eingeladen zu einer Exkursion in die Stadt Solms, westlich von Wetzlar im Lahn-Dill-Kreis gelegen. Das Thema der Exkursion war die Förderung des ländlichen Raums mit dem Fokus auf dem LEADER-Progamm der Europäischen Union (EU), das gezielt den ländlichen Raum aufwerten soll.
Um 14.00 Uhr wurden die Teilnehmer aus allen Teilen Hessens vom Bürgermeister der Stadt Solms, dem Genossen Frank Inderthal im Rathaus der Stadt Solms sehr herzlich empfangen. Für das leibliche Wohl war gesorgt, die Teilnehmer konnten sich mit Kaffee, Brötchen und regional produzierten Räucherwürstchen stärken. Wie Joachim Diesner, der Vorsitzende des Arbeitskreises Landwirtschaft und ländlicher Raum, erläuterte, wurden die Räucherwürstchen garantiert ohne Antibiotika und Gentechnik-Futter regional und konventionell hergestellt.
Aufgrund der hohen geschmacklichen Qualität erfreuten sich die Räucherwürstchen bei den Teilnehmern sofort großer Beliebtheit. Zu Beginn stellte Bürgermeister Frank Inderthal die Stadt Solms und die Region vor. Solms hat 13.600 Einwohner und besteht aus fünf Ortsteilen. In der ländlich geprägten Lahn-Dill-Wetzlar-Region hat neben der Landwirtschaft auch die Metallindustrie eine große wirtschaftliche Bedeutung.
Von Wetzlar bis Siegen sind viele Firmen aus den Bereichen Metall, Feinmechanik, Autozulieferer und Optik in der Größenordnung von 100 – 1000 Mitarbeitern angesiedelt. Darunter sehr bekannte Firmen wie Buderus oder Leitz. Die Region wird auch das „Ruhrgebiet Hessens“ genannt. Anschließend führte Joachim Diesner ins Thema der Exkursion ein, stellte den grundsätzlichen Aufbau der EU-Förderprogramme dar und ordnete das LEADER-Programm hier fachlich ein.
Das LEADER-Programm gehört zur „Gemeinsamen Agrarpolitik“ der EU (GAP). Sie besteht seit den Römischen Verträgen 1957 und gehört zu den ältesten und finanziell bedeutensten Politikfeldern der EU. Die GAP besteht aus den beiden Säulen Förderung der Landwirtschaft (1. Säule) und Förderung des ländlichen Raums (2. Säule). Insgesamt stehen in Deutschland für die GAP für den Förderzeitraum von 2014 – 2020 jährlich 6,2 Mrd € zur Verfügung, davon für die 1. Säule rund 4,85 Mrd € und für die 2. Säule rund 1,35 Mrd €. Die Förderung des ländlichen Raums muss zusätzlich mit weiteren nationalen Mitteln von Bund, Ländern und Gemeinden kofinanziert werden. Das LEADER-Prgramm gehört zur 2. Säule.
Im Anschluss an diesen Überblick erläuterte die Regionalmanagerin der Region Lahn-Dill-Wetzlar, Mercedes Bindhardt, in einem sehr interessanten und informativen Vortrag das Leader-Programm der EU und die Aktivitäten und Projekterfolge an konkreten Beispielen der Lahn-Dill-Wetzlar-Region. Das Bundesland Hessen erhält 2019 aus dem LEADER-Programm insgesamt 51 Mio € Fördermittel. In Hessen gibt es 24 LEADER-Regionen.
Der Lahn-Dill-Kreis kann 2019 bis zu 2,2 Mio € Fördermittel beantragen. Die Projektförderung beträgt dabei bis zu 80 % der Gesamtkosten, 20 % müssen die lokalen Aktionsgruppen (LAG) beitragen. In 2019 sind nicht alle Fördermittel abgerufen worden. Mercedes Bindhart stellte den Teilnehmern das besondere und zentrale Merkmal des LEADER-Programms vor, das sogenannte Bottom-up-Prinzip. Das bedeutet, dass die konkreten Förderprojekte vor Ort von den direkt beteiligten Bürgern ausgewählt und im Rahmen der regionalen Entwicklungsstrategie lokal entwickelt werden müssen, im Sinne eines „von unten nach oben“.
Das LEADER-Programm legt dabei sehr großen Wert auf eine aktive Bürgerbeteiligung. Es will gezielt die lokale Identität und das lokale Zugehörigkeitsgefühl fördern. Lokale Netzwerke sollen helfen, Bindungen zwischen Menschen, Projekten und ländlichen Gebieten herzustellen. Diese Lokalen Aktionsgruppen (LAG) sollen der Motor der Entwicklung sein. Sie müssen zur Hälfte aus Wirtschafts- und Sozialpartnern bestehen. Sie werden vom Regionalmanagement begleitet.
Im Lahn-Dill-Kreis wurde 2008 als Lokale Aktionsgruppe der Verein „Lahn-Dill-Wetzlar e.V. gegründet. Insgesamt sind hier 87 Mitglieder organisiert sowie 12 Komunen. Die privaten Akteure haben einen Anteil von über 50 %. Es gibt keine kommunale Mehrheit. Bei der Entwicklung eines Förderprojekts kommt es daher ganz wesentlich auf eine offene Kommunikation, die effektive Koordination und den grundsätzlichen Konsens der Projektbeteiligten an.
Mercedes Bindhardt machte deutlich, dass ein Förderprojekt nur dann erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit gewährleistet ist. Das LEADER-Programm soll dazu beitragen, den ländlichen Raum als attraktiven Lebens-, Arbeits-, Erholungs- und Naturraum zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die Fördermaßnahmen sollen außerdem den strukturellen Wandel aktiv gestalten und durch konzeptionell angelegte Entwicklungsprozesse die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Potenziale mobilisieren und unterstützen.
Durch das LEADER-Programm können Projekte gefördert werden aus den Bereichen Demografischer Wandel, Bildung, Grundversorgung, Versorgungsinfrastruktur, Bauen, Erneuerbare Energien, Arbeitsplätze in der heimischen Wirtschaft, Zusammenarbeit von Handel, Handwerk, Gewerbe, neue Produkte und Dienstleistungen und Vermarktungsstrategien für die Land- und Forstwirtschaft, Tourismus, kulturelles und landschaftliches Erbe, gesellschaftlicher Zusammenhalt sowie bürgerschaftliches Engagement.
Vor diesem Hintergrund stellte die Regionalmanagerin Mercedes Bindhardt einige ausgewählte Förderprojekte vor, die in der Region Lahn-Dill-Wetzlar erfolgreich durchgeführt wurden oder geplant sind. In Wetzlar wurde 2018 das Kulturzentrum Franzis mit Fördermitteln zur Revitalisierung in Höhe von 12.000 € unterstützt und mit einer neuen Wärmeversorgung ausgestattet. So können auch im Winter Kulturveranstaltungen durchgeführt werden.
Die Ausbildungsinitiative der Kreishandwerkerschaft Lahn-Dill wurde 2018 mit 30.000 € gefördert. Dabei werden freiwillige Auszubildende geschult, Schülern den eigenen Ausbildungsberuf „auf Augenhöhe“ vorzustellen. Hierdurch soll dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden
Bei der Firma Blister-Express aus Aßlar wurde 2017 aufgrund der hohen Nachfrage die Beschaffung einer neuen Blistermaschine mit 30.000 € gefördert. Hierbei wurden zwei neue Arbeitsplätze geschaffen. Bei der Verblisterung werden Medikamente dem individuellen Patientenbedarf entsprechend verpackt. Zu den Kunden gehören Altenpflegeheime. Die Fa. Blister-Express hatte bereits in der letzten Förderperiode Fördermittel zur Existenzgründung erhalten.
Für das Gesundheitszentrum Breitscheid wird die Existenzgründung und Ladenausstattung eines Augenoptik- und Hörgeräteakustikgeschäfts mit ca. 70.000 € gefördert. Davon profitiert nicht nur Breitscheid, sondern auch die umliegenden Gemeinden.
In Waldgirmes soll der Neubau des Besucherzentrum Römerforum Waldgirmes als Präsentationsort des römischen Siedlungsplatzes Waldgirmes gefördert werden. Das Römerforum ist ein Leuchtturmprojekt des Regionalen Entwicklungskonzepts (REK) und Geopunkt des nationalen Geoparks Westerwald-Lahn-Taunus. Es ist geplant, aus dem LEADER-Programm den maximalen Förderbetrag von 200.000 € bereitzustellen, bei einer Gesamtinvestitionssumme von 500.000 €.
Zu den vorgestellten Förderprojekten entspann sich unter den Teilnehmern schnell eine intensive Diskussion über Fragen der Planung und Umsetzung sowie zur Akzeptanz und Bürgerbeteiligung. Mercedes Bindhardt ging auf alle Fragen ausführlich ein und hob die gute Kooperation und Kommunikation sowie das große Engagement aller Projektbeteiligten hervor.
Nach Beendigung des interessanten und sehr informativen Vortrags von Mercedes Bindhardt und der begleitenden lebhaften Diskussion wurden die Teilnehmer von Bürgermeister Frank Inderthal zur Vorstellung und Besichtigung des Förderprojekts „Bachtrompeter – Neue Mitte Solms“ vor Ort eingeladen. Nach kurzer Fahrt trafen sich die Teilnehmer wieder in Burgsolms, dem zentralen Stadtteil von Solms, wo Frank Inderthal das Konzept, die Planung und Realisierung des Projekts vorstellte.
Im Ortskern von Burgsolms stand bisher kein geeigneter Platz als Ortsmitte und Kommunikationsort zur Verfügung, wo sich die Solmser Stadtgesellschaft treffen und Feste und Versammlungen durchführen kann. Die traditionelle Ortsmitte von Burgsolms wurde in den 1970er Jahren durch eine breite Durchgangsstraße mit Abbiegespur sowie Parkpätzen überbaut. Das Fehlen eines solchen Platzes zur Bürgerbegegnung wurde von der LAG als ein Defizit identifiziert, das behoben werden sollte. In einem ersten Schritt wurde daraufhin ein Ort gesucht, der als Festplatz und Begegnungsort geeignet ist. Dabei ergab sich für die Stadt Solms die Möglichkeit, ein Grundstück zentral in der Ortmitte zu erwerben. Das Grundstück liegt sehr reizvoll direkt am Solmsbach, ist gut erschlossen und für den geplanten Zweck sehr geeignet. Die vorhandenen baufälligen Gebäude wurden abgetragen.
Im zweiten Schritt konnten die Solmser Bürger in einem Beteiligungsprozess ihre Wünsche und Ideen einbringen. Anschließend wurde im dritten Schritt der rund 1000 Quadratmeter große Platz den formulierten Anforderungen entsprechend geplant und gebaut. Er trägt nun den Namen „Bachtrompeter“.
Der Festplatz ist unterteilt in einen kleineren oberen und einen großen unteren Platz. Außerdem ist eine Bühne eingebaut. Zur Nutzung bei Dunkelheit sind fünf leistungsfähige, aber sehr dezente Beleuchtungsmasten installiert. Zusätzlich sind Sitzbänke, ein Basketballkorb und ein Schachfeld installiert. Die zugehörigen großen Schachfiguren stehen ebenfalls auf Nachfrage bereit. So kann der Platz auch von den Solmser Bürgern genutzt werden, wenn keine Veranstaltung abgehalten wird.
Der Platz wurde im September 2019 seiner Bestimmung übergeben. Es wurden bereits mehrere Veranstaltungen durchgeführt, darunter eine Kirmes. Die Solmser Bürger haben ihre neue Ortsmitte gut angenommen und nutzen sie inzwischen ganz selbstverständlich. Zum Zeitpunkt der Ortsbesichtigung waren die Aufbauarbeiten für den Solmser Weihnachtsmarkt in vollem Gange.
Das Projekt „Bachtrompeter – Neue Mitte Solms“ wurde aus dem LEADER-Proramm mit dem maximalen Förderbetrag in Höhe von 200.000 € gefördert, bei einer Gesamtinvestition von 500.000 €.
Bürgermeister Frank Inderthal stellte fest, dass dieses Projekt ohne die gute und sehr konstruktive Zusammenarbeit aller Projektbeteiligter nicht möglich gewesen wäre. Verschmitzt ergänzt er, dass die Vorbereitung des Projekts und die Überzeugungsarbeit der größte Aufwand gewesen sind. Die Antragstellung war dank der Unterstützung des Regionalmanagements und der zuständigen Landesbehörde nur noch ein „technischer Vorgang“.
Gegen 17.00 Uhr war die sehr interessane und informative Exkursion beendet. Abschließend machte der Vorsitzende des Arbeitskreises Landwirtschaft und ländlicher Raum, Joachim Diesner, darauf aufmerksam, dass das Projekt „Bachtrompeter – Neue Mitte Solms“ als ein sehr gelungenes Beispiel für eine erfolgreiche EU-Förderpolitik gelten kann. Hier kann man sehr konkret besichtigen, wie das vermeintliche „bürokratische Monster“ EU die Lebensverhältnisse der Menschen vor Ort verbessern hilft.
Die Teilnehmer der Exkursion waren sich einig, das aber ohne die sehr engagierten Menschen vor Ort wie dem SPD-Bürgermeister von Solms, Frank Inderthal, solche anspruchsvollen Projekte trotz bester EU-Förderprogramme nicht realisiert werden könnten.
Verfasser: Stephan Müller