Wer ernährt das Rhein-Main-Gebiet und wie viel Nachhaltigkeit ist dabei realistisch?

Mit dieser Fragestellung beschäftigte sich eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung auf Initiative des AK „Landwirtschaft und ländlicher Raum“ des SPD-Bezirks Hessen-Süd.
Kompetente Gesprächspartner für Moderator Christoph Scheld vom hr waren Julia Kraushaar (Geschäftsführerin MGH GUTES AUS HESSEN GmbH), Hans-Georg Paulus (Generalsekretär Hessischer Bauernverband e.V.) und Dr. Susanne von Münchhausen (Sprecherin Ernährungsrat Frankfurt).

Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen, dass ihre Nahrungsmittel regional, saisonal und wenn möglich auch fair und „bio“ produziert werden sollen. Regional kann zum Beispiel bedeuten, dass ein Nahrungsmittel oder dessen Zutaten, vom Anbau bis zur Endverarbeitung in bestimmten Regionen oder einem gewissen Umkreis von der Verkaufsstelle seinen Ursprung haben soll.

Ist das Rhein-Main-Gebiet „autark“?
Aber ist das Rhein-Main-Gebiet aktuell überhaupt in der Lage, sich selbst zu ernähren? Nur 20 Prozent des benötigten Obstes und 29 Prozent des Gemüses werden auch tatsächlich in Hessen angebaut. Der Rest wird aus anderen Teilen Deutschlands, Europas oder der Welt importiert. Lediglich das angebaute Getreide, die Kartoffeln sowie Milch- und Milchprodukte würden ausreichen, den Bedarf Hessens „regional“ abzudecken.

Konflikt oder Chance: Großstädte stehen auf fruchtbarsten Böden
Einer der großen Streitpunkte unserer Zeit ist die Nutzungskonflikte u.a. zwischen Landwirtschaft und der Schaffung von Wohnraum aber auch der zunehmende „Freizeitdruck“ auf die wenigen im Ballungsraum noch verbliebenen landwirtschaftlichen Nutzflächen. Jede Großstadt und Metropole strebt danach, weiter zu wachsen. Dabei werden auch agrarisch genutzte Flächen an den Stadträndern weiter versiegelt und bebaut.
Dies steht jedoch meist im Widerspruch zur eigenen Stadtgeschichte: Heutige Großstädte wurden im Mittelalter auf sehr fruchtbaren Böden angesiedelt, da so die Ernährung der Bevölkerung gewährleistet werden konnte. Diese einstige Startbedingung der Städte schwindet heute mehr und mehr. Je fruchtbarer ein Boden, desto bedeutungsvoller wird dieser in der Zukunft sein. Aufgrund des Klimawandels werden sich die Klimazonen in einigen Jahrzehnten weiter verschieben und die verfügbare Fläche an fruchtbaren Boden weiter sinken. Trotz Klimawandel wird Mitteleuropa und damit auch unser Gebiet eine sog. „Gunstregion“ bleiben, das heißt es wird im Vergleich zu Südeuropa, woher wir derzeit einen Großteil unseres Gemüses und Obstes beziehen vergleichsweise noch ausreichend Niederschlag geben, um ausreichend Lebensmittel nicht nur zur Selbstversorgung zu produzieren. Umso mehr ist fruchtbarer Boden ein schützenswertes Gut.

Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger kauft im Supermarkt
Regionale (Bio-)Produkte findet man vorwiegend in Hofläden und auf Wochenmärkten, in denen ortansässige Betriebe ihre in der Regel hochpreisige Ware anbieten. Aber auch Supermärkte und Discounter haben die „Regionalität“ entdeckt, doch die Verfügbarkeit regionaler Produkte  insbesondere mit „Bio-Label“ ist sehr begrenzt und vergleichsweise teurer als das übrige Angebot.
Laut aktuellen Umfragen sind 84 Prozent der Menschen dazu bereit, regionale bzw. Bio-Produkte zu kaufen. Allerdings deckt sich dies nicht mit dem tatsächlichen Einkaufsverhalten, da der Anteil der Bio-Produkte nur 6,5 % (2019) am Gesamtumsatz beträgt.
Der Grund für den Preisunterschied ist, dass für die Herstellung von Bio-Lebensmitteln mehr Fläche und Arbeitskräfte benötigt werden, da die Erträge gegenüber „konventionellen“ Waren niedriger sind und mehr „Handarbeit“ bedürfen.
Wobei aber auch festgestellt werden muss, dass die Qualität aller bei uns in den Regalen und Wochenmärkten angebotene Lebensmittel weltweit zu den höchsten Produktions- und Lebensmittelsicherheitsstandards hergestellt werden.
Laut aktuellen Umfragen sind 84 Prozent der Menschen dazu bereit, regionale bzw. Bio-Produkte zu kaufen. Allerdings deckt sich dies nicht mit dem tatsächlichen Einkaufsverhalten, da der Anteil der Bio-Produkte nur 6,5 % (2019) am Gesamtumsatz beträgt.
Der Grund für den Preisunterschied ist, dass für die Herstellung von Bio-Lebensmitteln mehr Fläche und Arbeitskräfte benötigt werden, da die Erträge gegenüber „konventionellen“ Waren niedriger sind und mehr „Handarbeit“ bedürfen.
Wobei aber auch festgestellt werden muss, dass die Qualität aller bei uns in den Regalen und Wochenmärkten angebotene Lebensmittel weltweit zu den höchsten Produktions- und Lebensmittelsicherheitsstandards hergestellt werden.

Landwirte brauchen Planungssicherheit!
Manche Haupt- oder Nebenerwerbsbetriebe denken über eine Umstellung ihrer Produktion auf „Bio“ nach, das bedeutet jedoch oft einen Bedarf von sehr viel Zeit für zusätzliche Dokumentationen, Kontrollen und insbesondere im Tierhaltungsbereich sehr viel Kapitalbedarf für erforderliche Umbauten.
Solche Investition würde sich nur lohnen, wenn nachher am Markt auskömmliche Preise zu erzielen wären. Zwar wächst die Nachfrage nach nachhaltiger und regionaler Ernährung in der Gesellschaft, aber entweder sind Verbraucher*innen nicht bereit oder aufgrund ihrer Einkommenssituation nicht in der Lage, mehr Geld dafür zu bezahlen.
Dazu kommt, dass immer mehr Höfe, aber auch Betriebe wie Metzgereien oder Bäckereien, schließen, da sie die behördlichen Auflagen nicht mehr erfüllen können. Beispielsweise vor einigen Jahren gebaute Schweineställe, die genehmigt und sogar mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden, erfüllen innerhalb ihrer Zweckbindungsfrist nicht mehr die aktuellen neuen Anforderungen hauptsächlich im Bereich Tierschutz und Banken sind nicht bereit, bauliche Anpassungen zu finanzieren. Für Schweine haltende Betriebe bedeutet dies oft das Ende ihres Betriebes, während die Nachfrage nach Schweinefleisch auf dem Markt beständig bleibt. Dann wird Schweinefleisch aus anderen EU-Ländern wie Spanien und später ggf. aus Ländern wie China importiert, wo die deutsche Politik keinerlei Einfluss auf Standards des Tierschutzwohles haben.

Aus diesem Grund fordern insbesondere Junglandwirte eine bessere Planungssicherheit von der Politik. Neu errichtet Gebäude müssen für längere Zeiträume Bestandsschutz auch bei Gesetzesänderungen haben, forderte Hans-Georg Pauls, Generalsekretär des Hessischen Bauernverbandes. Pauls: „Landwirte denken in Generation, die Politik in Legislaturperioden. Das ist unser großes Problem.“

Der Wandel beginnt vor Ort
Auch der Aspekt Bildung sollte bei der Ernährung von jung an eine stärkere Rolle spielen. Das Thema kann Kindern etwa durch gemeinsam geführte Schulgärten nähergebracht werden, auch Gemeinschaftsgärten wären eine Bereicherung in vielen Stadtteilen. Auch die öffentliche Hand kann sehr viel dazu beitragen, eine ausgewogene Ernährung mit Zutaten aus regionaler Herkunft zu gewährleisten, etwa im eigenen Angebot in den Mensen und Kantinen.
Kann das Rhein-Main-Gebiet sich selbst ernähren? Die Antwort lautet deutlich nein, da die Region gerade mal einen Selbstversorgungsgrad von fünf bis sechs Prozent erreicht. Aber in einer globalisierten Welt und einem Deutschland, in dem die Regionen zusammenarbeiten, ist eine autarke Selbstversorgung auch gar nicht notwendig. Jede Region baut das an, was sich in den gegebenen Konditionen am besten anpflanzen lässt. Alles, was über den Eigenbedarf hinausgeht, wird exportiert. Was die Region dagegen selbst nicht anbauen kann, wird importiert.
Wichtig für die Ernährung der Zukunft ist es, dass den Landwirten ermöglicht wird, langfristig zu planen, so dass wir unsere Standortvorteile auch entsprechend nutzen können. Der Fokus bei der zukünftigen Bebauung sollte auf bereits versiegelten Flächen liegen anstatt weitere agrarisch genutzte Flächen zu beanspruchen. Sollte dies dennoch notwendig sein, fordern Landwirte eine Neuordnung der Eingriffs- und Ausgleichregelungen, denn leider werden als Ausgleichsflächen wieder landwirtschaftliche Flächen zusätzlich für den Ausgleich aus der Produktion genommen, so dass der Flächenverlust doppelt wiegt.
Dieses Jahr ist es mit der Schlusserklärung der von der Bundesregierung ins Leben gerufenen „Zukunftskommission Landwirtschaft“(ZKL) gelungen, dass sich Landwirte, die Landjugend sowie verschiedenen Naturschutzverbände und Akteure aus der Politik gemeinsam an einen Tisch gesetzt haben, um die Zukunft der Landwirtschaft zu diskutieren und eine gemeinsame Abschlusserklärung zu formulieren. Die nächste Bundesregierung solle die Empfehlungen der ZKL aufnehmen und an deren Umsetzung zusammen mit den Ländern weiterarbeiten, Dabei seien in einem ersten Schritt Empfehlungen der Borchert-Kommission zum Umbau der Nutztierhaltung zeitnah umzusetzen und die Finanzierung für den Begleitprozess der noch konkret auszuarbeitenden Tierwohlmaßnahmen sicherzustellen.

Nachhaltigkeit: Ökologisch – ökonomisch – sozial
Die Ernährung unserer Zukunft muss auf den drei Säulen der Nachhaltigkeit beruhen, die 1991 auf der Weltklimakonferenz in Rio definiert wurde: Ökologisch, ökonomisch und sozial.
Wenn diese drei Begriffe im Einklang stehen, ist eine landwirtschaftliche Produktion, die sowohl die dringenden Herausforderungen des Klimaschutzes als auch der Ernährungssicherung einer weiter zunehmen Weltbevölkerung auf immer weniger landwirtschaftlicher Nutzfläche möglich.

Hierzu bedarf es fairer Preise für die Erzeuger.